Mein Buch des Monats November ist „Kurswechsel im Kopf“ von Steven C. Hayes. Ein Buch über die Akzeptanz- und Commitmenttherapie (ACT) mit Anleitungen zur Umsetzung.
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Ich weiß nicht, wann ich zum ersten Mal auf die Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) aufmerksam geworden bin. Ich glaube, es war im Podcast „Reif für die Couch“ von Sabine Bimmler. Das Konzept hinter ACT (gesprochen, wie das englische Verb „act“ (handeln), also „äckt“) hat mich gleich angesprochen und ich habe angefangen, nach Möglichkeiten zu suchen, wie ich das Konzept für mich und meine Klient*Innen nutzbar machen kann. Darunter war der Kurzworkshop „ACT für Anfänger“ mit Valerie Kiel, die Anschaffung mehrerer Bücher UND – das war gefühlt der Durchbruch – die wunderbare Weiterbildung „3×3 ACT“ mit Hagen Böser und Tom Pinkall über die IF Weinheim GmbH – Institut für systemische Ausbildung und Entwicklung.
ACT wird ganz bewusst wie „handeln“ ausgesprochen, einer der 6 Kernprozesse, die zu psychischer Flexibilität führen, ist „engagiertes Handeln“ – ohne Handeln keine dauerhafte Selbstwirksamkeit.
Aber worum geht es denn genau?
ACT ist ein Verfahren aus der sogenannten dritten Welle der Verhaltenstherapie, die neben den klassischen verhaltenstherapeutischen Methoden noch Impulse aus den Bereichen Achtsamkeit, Akzeptanz und Werte integriert.
Die Grundannahme ist im ersten Moment etwas sperrig: es gibt kein Leben ohne Schwierigkeiten und Leid. Der Versuch „nicht mehr zu leiden“ führt oft zu Vermeidungsverhalten und engt unseren Handlungsspielraum damit Stückchen für Stückchen ein. Je mehr wir unangenehme Empfindungen vermeiden, umso weniger können wir auch die positiven Seiten des Lebens wahrnehmen und genießen. Das Fazit lautet damit: Akzeptanz statt Abwehr.
Was wäre dann aber, wenn wir uns unseren Problemen stellen, sie akzeptieren und entspannt(er) mit ihnen leben könnten? Einfach ist dieser „Kurswechsel“ nicht, aber machbar. Das Ziel heißt „psychische Flexibilität“ im Sinne von Offenheit gegenüber allen unseren Gedanken und Gefühlen, als Bereitschaft, uns auch bei Schwierigkeiten von unseren Werten leiten zu lassen und auf dieser Grundlage zu handeln.
Was gehört dazu?
Steven C. Hayes hat sechs Kernkompetenzen identifiziert, die uns bei dieser Veränderung und von da an kontinuierlich unterstützen können. Diese Kernkompetenzen, oft auch in Form des „Hexaflex“ dargestellt, greifen ineinander, stützen sich gegenseitig und bilden damit ein Netz, das uns stützen und auffangen kann, an dem wir uns immer wieder neu ausrichten können. Was jetzt folgt, ist nur ein kleiner Überblick. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass ich in künftigen Blogbeiträgen genauer auf die einzelnen Aspekte eingehen werde.
- Defusion: Viele unserer täglichen Probleme resultieren aus einer Verschmelzun (Fusion) mit unseren (negativen, abwertenden) Gedanken. Wenn wir uns davon lösen können, die negativen Vorgaben unseres inneren Kritikers als das erkennen, was sie sind, auch nur weitere Gedanken, haben wir die Freiheit, sie in Frage zu stellen und uns neu zu entscheiden. Hier sollte die Frage im Vordergrund stehen, ob dieser Gedanke im Moment hilfreich für mich ist.
- Selbst als Kontext – Puh, das war der Prozess, den ich lange nicht greifen konnte. Eigentlich ist es aber im Wesentlichen die Frage nach der Geschichte, die wir uns selbst und anderen über uns erzählen. Auch hier die Frage: ist diese Geschichte hilfreich? Könnte man sie nicht auch anders erzählen? Was würde das mit/aus mir machen? Also ein Wechsel der Perspektive.
- Werte: welche Werte werden verletzt, wenn wir uns gerade unglücklich und unzufrieden fühlen? Welches Bedürfnis wird nicht erfüllt? (Erst) Wenn wir dem auf den Grund gegangen sind, können wir überlegen, wie unsere Handlungsoptionen aussehen.
- Akzeptanz: Annehmen, was ist – nein, nicht in der Opferrolle sondern mit dem Wissen, dass aus Akzeptanz (statt Ablehnung) Handlungsoptionen entstehen.
Wenn ich nicht versuche, die Wasserbälle unter der Oberfläche zu halten, habe ich die Hände frei, kann wegschwimmen oder mit ihnen spielen.
Das Bild mit den Wasserbällen habe ich von einem der Ausbildungsbegleiter meiner Coachingausbildung (Jan Schürmann) geschenkt bekommen, dafür bin ich ihm immer noch sehr verbunden und es lässt sich an dieser Stelle wunderbar einsetzen.
Damals ging es eher darum, dass ich versuchen kann ein oder zwei Themen unter der Oberfläche zu halten, aber irgendwann gehen einem die physischen (recht schnell, da hat man in der Regel nur zwei) oder auch die geistigen Hände aus und dann schnellen die Themen eben wie Wasserbälle unkontrolliert und mit Wucht nach oben und nehmen sich den Raum, den sie benötigen.
- Hier & Jetzt: Nicht die blöden Situationen von gestern wiederkäuen, nicht heute schon mögliche Probleme von morgen vorwegnehmen, sich eher die Frage stellen „… und was ist jetzt“
- Engagiertes Handeln (Commitment) – Theorie ist super, aber dabei bleibt es auch? Nein, langsam, in mikroskopischen Schritten, mit kleinen Verhaltensänderungen kommen wir ans Ziel. Aber dafür müssen wir mit uns Vereinbarungen schließen und einhalten – oder prüfen, warum wir sie nicht einhalten können/wollen und gegebenenfalls eine andere Richtung einschlagen.
Für jeden dieser sechs Prozesse gibt es Methoden, die uns helfen können, zu größerer Klarheit zu gelangen und die im Zusammenspiel mit den anderen Prozessen/Kompetenzen einen Schritt in Richtung psychische Flexibilität und innere Freiheit darstellen.
Das Buch gibt auf seinen fast 500 Seiten erst einen allgemeinen Überblick über die Entstehungsgeschichte und die Grundlagen von ACT.
Im zweiten Teil werden die Kernkompetenzen und die mit ihnen verbundenen Veränderungen ausführlich dargestellt, Hier finden sich Übungen (Anfänger & Fortgeschrittene) zu jedem Prozess.
Im dritten Teil wird der Aufbau der persönlichen Werkzeugkastens betrachtet, hier gibt es auch Kapitel zur Anwendung von ACT in verschiedenen Bereichen (z.B. gesunde Lebensführung, Beziehungsgestaltung oder Mentale Gesundheit).
Das Buch kann modular oder von vorne nach hinten gelesen werden, es empfiehlt sich jedoch, die Anweisungen zu den Übungen im zweiten Teil zu beachten und nicht alle Übungen eines Kapitels sofort zu machen sondern zunächst das jeweilige „Toolkit für Einsteiger“ zu verinnerlichen und dann gegebenenfalls zurückzukommen. Ich würde „Neueinsteigern“ auch empfehlen, den ersten Teil nicht zu überspringen.
Ich persönlich habe mir aus der Lektüre einige Übungen mitgenommen und bin sehr gespannt, wie sie sich auf meine Lebensführung in den kommenden Monaten auswirken. Das Buch steht jetzt – mit vielen Klebchen versehen – wieder im Schrank und wird bestimmt ein Nachschlagewerk bleiben, auf das ich gerne zurückgreife – das dürfen nicht alle gelesenen Bücher.
Zum Abschluss noch eine Übung zum Einstieg:
Stell Dir vor, Du steuerst einen Bus, der sich „mein Leben“ nennt. Im Laufe so einer Fahrt nimmt der Bus, das ist ganz normal, Fahrgäste auf. Die Fahrgäste in diesem Bus sind Deine Erfahrungen, Deine Gefühle, Deine Gedanken, Deine Körperempfindungen.
Darunter sind auch Störenfriede, die Dir die Fahrt unangenehm machen können. Wenn Du Dich aber hauptsächlich auf diese Störenfriede konzentrierst, dann achtest Du nicht mehr auf die Straße, die vor Dir liegt und auch nicht auf die möglichen Abzweigungen.
Wenn du diese Störer jetzt „rauswerfen“ wolltest, müsstest Du dafür vermutlich anhalten – manchmal auch länger, denn die Kollegen können ganz schön hartnäckig sein und sind vielleicht sogar auf Randale aus – aussteigen wollen sie auf gar keinen Fall. Wäre es nicht besser, einfach unbeirrt weiter zu fahren, Deine Ziele im Blick zu behalten?
Kennst Du Deine Störer? Die Gedanken und Empfindungen, die Dich immer wieder ausbremsen und boykottieren? Dann schreibe sie Dir auf Karteikarten, die Du in den kommenden Wochen immer mit Dir herumträgst. Wenn Du wahrnimmst, dass sich einer der Störenfriede in den Vordergrund drängt und Dich vom Fahren abhält, heiße ihn herzlich willkommen und bitte ihn, wieder Platz zu nehmen.
Deine Fahrgäste kannst du Dir nicht aussuchen, aber DU bestimmst, wohin die Reise geht. (Fahrgäste im Bus, eine ACT-Übung, vgl. auch S. 364)
Steven C. Hayes
(übersetzt von Ursula Bischoff)
Kurswechsel im Kopf
Verlagsgruppe Beltz
ISBN: 978-4-407-86447-5
Was man bei einer Buchbesprechung beachten sollte: Das Cover des Buches unterliegt dem Urheberrecht – ja, irgendwie kann man da das Einverständnis erhalten – das ist mir aktuell allerdings zu nervig – also gibt es hier immer mein „Titelbild“ – selbst gezeichnet.
Update, 24.06.2024: Da ich für A*n mit dem Affiliate Link nicht schnell genug Umsatz generiert habe (dann kündigt A***n den Affiliate-Vertrag) werden alle Affiliate-Links entfernt. Eventuell ersetze ich diese in Zukunft durch andere Werbeprogramme.
#BuchdesMonats #ACT #Selbstwirksamkeit
*) Wenn ich für eine Empfehlung eine Vergütung erhalte, dann ist das eindeutig mit „WERBUNG“ kenntlich gemacht. Alle sonstigen Links sind unentgeltliche Weiterleitungen und Empfehlungen aus persönlicher Erfahrung heraus.
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